OIKOPOLIS als „Leuchtturm im Nebel“
Viel Lob zur 25-Jahr-Feier der Luxemburger Bio-Vermarktungsinitiativen
Der Festsaal des Centre Culturel in Mamer war gut gefüllt, als am 2. Dezember die in Munsbach ansässige OIKOPOLIS-Gruppe mit einer Séance Académique ihr Jubiläumsjahr abschloss. Das Netzwerk von Luxemburger Bio-Vermarktungsinitiativen feierte „25 Joer BIOG, NATURATA, OIKOPOLIS“, und gut 250 Gäste feierten mit.
Auch die Politik war reichlich vertreten. Gleich drei Ministerien hatten ihr Kommen zugesagt: die Ressorts Umwelt, Landwirtschaft und Wirtschaft. Weitere Politiker waren unter den Gästen, u.a. der Chamber-Deputierte Marco Schank und Europaabgeordneter Claude Turmes. Der angekündigte Redebeitrag vonseiten des Wirtschaftsministeriums musste allerdings entfallen, weil Staatssekretärin Francine Closener sich kurzfristig entschuldigen ließ. Umweltministerin Carole Dieschbourg und Landwirtschaftsminister Fernand Etgen machten dennoch deutlich, welchen Stellenwert die Regierung dem „Projekt“ OIKOPOLIS beimisst, von dem Geschäftsführer Änder Schanck später sprach.
„Individuelle Hofprodukte gemeinsam vermarkten“
Es war an Demeter-Landwirt Tom Kass, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der OIKOPOLIS Beteiligungsgesellschaft, den politischen Part einzuordnen in den Ablauf der Feierlichkeiten. Dieser sah vor, den Reigen der Reden mit jenen zwei Betrieben zu beginnen, die 1988/89 den Grundstein der heutigen OIKOPOLIS-Gruppe legten: BIOG und NATURATA. Die Lëtzebuerger Bio-Bauere-Genossenschaft BIOG ist ein Zusammenschluss landwirtschaftlicher Betriebe mit dem Ziel, deren individuelle Hofprodukte gemeinsam zu vermarkten. Dabei sollte der Hof immer im Mittelpunkt bleiben. Deshalb lässt die Genossenschaft ihren Mitgliedern die Möglichkeit, die eigenen Produkte auch selbst ab Hof zu vermarkten. Das Gros ihrer Produkte wird jedoch bis heute über den 1989 gegründeten Schwesterbetrieb NATURATA Luxembourg und dessen Einzelhandelsgeschäfte an die Konsumenten im Lande gebracht.
Der gewählte BIOG-Präsident, Bio-Geflügelbauer Marc Emering, an den Tom Kass das Wort übergab, beschrieb seine eigene Erfahrung mit der Genossenschaft und der um sie herum entstandenen Unternehmensgruppe. Die OIKOPOLIS-Gruppe vermarkte seine Bio-Poulets unter der Marke BIOG über den Großhändler BIOGROS landesweit – nicht nur in NATURATA-Läden. Trotzdem habe ihm die Genossenschaft stets freie Hand für den zusätzlichen Verkauf „ab Hof“ gelassen.
Auch die Bio-Ei-Nudeln, die auf seinem Sprinkinger Hof seit 2013 in einer artesanalen Pasta-Manufaktur produziert werden, könne der Kunde auf zweierlei Art erwerben – und in zweierlei Verpackung. Die unter der Marke BIOG vermarkteten Sorten finde man z.B. in jedem NATURATA Bio Marché und NATURATA Bio Haff Buttek, während auf seinem eigenen Hof „An Dudel“ dieselben – und mehr – Sorten in einer ganz anderen Verpackung im Namen der „Dudel-Magie sàrl“ zum Verkauf stünden. Von den Netzwerk-Vorteilen, die seine Mitgliedschaft in der BIOG-Genossenschaft ihm für Markteintritt, Bekanntmachung und Vertrieb seiner Produkte eröffne, sei er dennoch – oder gerade wegen dieser Freiheit zur Selbstvermarktung – so überzeugt, dass er zusammen mit den anderen Eigentümern der Gesellschaft Dudel-Magie beschlossen habe, der OIKOPOLIS Participations 10% ihrer Anteile an der neu gegründeten Bio-Pasta-Manufaktur gratis zu überlassen.
Von dieser bemerkenswerten Schenkung war es nur ein kleiner Schritt zur Verdeutlichung der Netzwerkdimensionen in der Rede von Roland Majerus, dem Verwaltungsratsvorsitzenden der NATURATA SA. Ehe er über die Herausforderungen sprach, die den Biowaren-Einzelhändler künftig erwarten – unter anderem die Beibehaltung und weitere Vertiefung persönlicher Kundenkontakte im Zeitalter des E-Commerce – richtete er den Blick zurück auf den Weg, den die NATURATA-Geschäfte seit dem ersten Garagenverkauf bis zur Ladeneinrichtung im Rollingergrund zurückgelegt hatten. Bei dieser Rückschau war es ihm vor allem ein Anliegen, all denen zu danken, ohne die die letzten 25 Jahre nicht möglich gewesen wären. Unter denen, die „mitgegangen und noch immer mit auf dem Weg sind“, nannte er neben den BIOG- und anderen Biobauern sowie -gärtnern, Gründern, Initiativträgern und Pionieren auch Verarbeiter, Müller, Molkereien, Metzgereien, Lieferanten, Großhändler, Verkaufspartner, Kreditgeber, Anteilseigner und Privataktionäre sowie KundInnen und andere engagierte Unterstützer einer gesunden Ernährung, die Mensch und Umwelt dient.
Diese Aufzählung zeigte bereits, dass es eine besondere Stärke der OIKOPOLIS-Bio-Vermarktungsinitiativen ist, partnerschaftliche Beziehungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu pflegen. Noch deutlicher wurde dies in den beiden Beiträgen, die auf ein perfekt harmonisches Zwischenspiel zweier OPL-Solisten folgten (Cathérine Beynon an der Harfe und Violinist Darko Mollowich).
Zunächst fasste Änder Schanck, Vorstandsvorsitzender der OIKOPOLIS Participations und Luxemburger Biolandwirtschaftsaktivist der ersten Stunde , die wichtigsten Stationen des „OIKOPOLIS-Projekts“ zusammen – angefangen bei der BIOG-Genossenschaft als deren Keimzelle. Von dieser Pionierphase der 80er-Jahre, die maßgeblich von ihm selbst und Roland Majerus mitgeprägt wurde, führte die Chronologie über die Differenzierungsphase und eine „Professionalisierungs- und Kooperationsphase“ bis hin zur gegenwärtigen Situation, in der Auf- und Ausbau eines kooperativen Netzwerks von Initiativen und Betrieben im Fokus stehen.
Gründerzeitflair wehte durch den Saal, als Fotos der Garage im Rollingergrund gezeigt wurden, in der der offene Verkauf von Obst und Gemüse begann und die bärtigen „wilden Kerle“ ins Bild kamen, die sich ursprünglich auf Anraten eines Schweizer Unternehmensberaters in einer Genossenschaft zusammengeschlossen hatten, um für ihre Partner überhaupt „vertragsfähig“ zu werden. Mit Feuereifer leisteten sie in den Anfangsjahren all das eigenhändig, was mittlerweile gut 250 MitarbeiterInnen in Biowaren- Einzel- und Großhandel (NATURATA, BIOGROS) und zentraler Verwaltung beschäftigt.
„Wir brauchen einen neuen contrat social“
Was diese OIKOPOLIS-Betriebe im Kontext ihres gesamten Netzwerks leisten, würdigte Gastredner Ueli Hurter, selbst projekterfahrener Landwirt und Co-Leiter der Landwirtschaftlichen Sektion der Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum in Dornach/Schweiz, im folgenden Hauptvortrag. Zunächst jedoch schlug er für die schon sprichwörtlichen Luxemburger Bio-Pioniere eine Alternativbezeichnung vor, die im Publikum hörbar Beifall fand. „Eigentlich waren das damals Bio-Piraten“, bilanzierte er kurzerhand – um nach dieser launigen Pointe darzulegen, worin er den geradezu revolutionären Ansatz der BIOG-Gründer sieht, der der OIKOPOLIS-Gruppe ihren heutigen Modellcharakter verleihe.
Die OIKOPOLIS-Gruppe nannte er dabei ein „Leuchtturmprojekt – und zwar nicht ein Leuchtturm, der sagt: Achtung hier ist Gefahr (…), hier kann man stranden, sondern ein Leuchtturm, der das Signal aussendet: Hier ist Land! Nach den weiten Zeiten auf dem Meer und vielleicht auch im Nebel kann man hier Land sehen (…) in den Fragen des assoziativen oder partnerschaftlichen Wirtschaftens.“ Dann führte der Schweizer Experte aus, warum die konsensorientierte Kommunikationskultur, die z.B. die Marktgespräche der OIKOPOLIS-Betriebe prägt, vorbildlich sei. Bei diesen Gesprächen kommen auf OIKOPOLIS-Initiative alle Stufen der Wertschöpfungskette vom Bauern bis zum Bio- und Supermarkt- und sogar Konsumentenvertreter am Runden Tisch zusammen, um z.B. über Produktionsmengen und Preisfestlegung zu beraten. Über diese im konventionellen Handel unübliche Verhandlungsform hinaus sei es der OIKOPOLIS-Gruppe zudem auf breiter Ebene gelungen, den weitgehend verlorenen Kontakt der Verbraucherinnen und Verbraucher zu den bäuerlichen Erzeugern ihrer Lebensmittel wieder herzustellen.
In Anspielung auf Jean-Jacques Rousseau forderte Hurter deshalb für die durch Verstädterung und Entfremdung von den natürlichen Grundlagen geprägte Gesellschaft der Moderne: „Wir brauchen einen contrat social zwischen den 98 oder 99% der Menschen, die nicht mehr in der Landwirtschaft sind, und den ganz wenigen, die noch Landwirte sind.“ Diesen zukunftsweisenden neuen „Gesellschaftsvertrag“ sehe er „im Nukleus“ in der Organisation der OIKOPOLIS-Gruppe bereits entwickelt, die mit Tausenden Konsumenten eine solch vorbildliche Bindung eingegangen sei. Insofern sei das OIKOPOLIS-Projekt „eine Art Zukunftslabor „: „Hier werden Prototypen gemacht für etwas, das es noch gar nicht gibt. Hier wird gerade das Elektromobil erfunden, nachdem man gemerkt hat, dass der Verbrennungsmotor vielleicht Probleme macht.“
„Utopie säen – Realität ernten“
Nach so viel Lob aus berufenem Munde bot ein weiteres musikalisches Intermezzo Muse zum Nachsinnen, ehe die anwesenden Regierungsvertreter ein abschließendes Grußwort an die Gastgeber richteten. Umweltministerin Carole Dieschbourg begann ihre Rede mit dem passenden Zitat „Wer eine Utopie sät, kann Realität ernten“. Die stetig wachsenden Zahlen der Vermarktungsinitiativen rund um die BIOG seien ein Beweis dafür, dass deren „Vision von landwirtschaftlicher Kultur“ heute mehr denn je „in der Mitte der Gesellschaft“ angekommen sei. Ihr eigenes Ministerium wie auch das ihres Kollegen Fernand Etgen sei auf dem Weg zum Ausgleich („conciliation“) mit dieser „zukunftsorientierten Form der Landwirtschaft“.
Der Landwirtschaftsminister selbst bestätigte anschließend, Ressourcenschonung und Erhalt der Biodiversität seien zwei (mit-)entscheidende Gründe dafür, umstellungswillige Landwirte durch das neue Agrargesetz zu unterstützen. Dabei liege der Fokus auch auf kleineren Bauernbetrieben, die sonst im globalisierten Wettbewerb kaum Überlebenschancen hätten, für das eigene Land aber ökologisch und sozial ausgesprochen wichtig seien. In den kommenden Jahren werde der nationale Aktionsplan für den biologischen Landbau in diesem Sinne weitergeführt, versprach der Minister und wünschte der OIKOPOLIS-Gruppe, der er für ihr „vorbildliches Engagement“ ausdrücklich dankte, „Bonne chance für die Zukunft“ und alles Gute für die nächsten 25 Jahre.
Vielleicht wird innerhalb dieses Zeitraums ja wahr, was BIOG-Präsident Emering in Anspruch genommen hatte: „Bio wird immer noch als Nischenproduktion gesehen. Aber auch wir wollen groß werden, und das heißt: wir können ein Land ernähren!“
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